Bild: Flickr – Scott Lewis – CC by 2.0
Kaum etwas ist selbstverständlicher für Verbraucher, als bei Amazon zu bestellen.
55 % des deutschen Verbraucher-E-Commerce soll mittlerweile über amazon.de abgewickelt werden. Knapp die Hälfte davon von sogenannten Marketplace-Händlern.
Das bedeutet ca. 1,5 – 3,4 Millionen Pakete pro Tag die von den 9 Amazon-Lägern in Deutschland abgewickelt werden. Grund genug für Klaus vom Team von MarkPlatz1 eines dieser Logistik-Imperien zu besichtigen.
Besuch im Lager MUC3 Graben bei Augsburg
Mit einer Fläche von 120.000 m2, was ca. 17 Fußballfeldern entspricht, ist das Lager MUC3 Graben in der Nähe von Augsburg angesiedelt. Dabei sind derzeit nur 50 % der Gesamtfläche in aktiver Nutzung. Also Platz für weiteres Wachstum.
Hier verrichten 2000 Mitarbeiter im 2-Schichtbetrieb den Amazon-Versand an 6 Tagen die Woche. Im Gegensatz zu den Lägern in den USA wo im 3 Schichtbetrieb 24h/7 Tage die Woche ausgeliefert wird.
Wareneingang – Receiver
20 LKW-Laderampen stehen in Graben zur Verfügung. Hier wird in Empfangsstraßen die Ware angenommen, in Warteschlangen gereiht und von einzelnen Mitarbeitern überprüft. Dabei wird wirklich jeder einzelne Artikel auf sichtbare Beschädigungen geprüft. Was nicht 100 % passt geht in den sogenannten nicht erfüllbaren Bestand. Zudem wird auch der Artikel auf Volumen und Gewicht geprüft. Artikel die erstmalig ins Amazon-Sortiment aufgenommen werden sollen, kommen zur Ultraschallvermessung und Waage.
Wer hiesige Logistik kennt, der weiß, dass in den wenigsten Fällen die Unternehmen jeden Einzelartikel überprüfen, vielmehr verlässt man sich auf Stichproben. Auf die Frage warum diese Aufwand vorgenommen wird sagt der Amazon-Manager:
„Wir möchten dem Kunden ein ideales Einkaufserlebnis bieten, dazu passen für uns keine beschädigten Verpackungen – das ist auch unser Kundenversprechen.“
Stowing:
Ab diesem Prozesspunkt erscheint die Ware als bestellbar auf der Plattform. Nach dem Wareneingang geht es das erste Mal auf ein Förderband. Den Prozess bezeichnet Amazon als Stowing. Sogenannte Stower übernehmen in der Ziellagerhalle die gelben Kisten und schlichten die Ware in die vom System zugeteilten Fächer. Dort findet man die Ware chaotisch geordnet wieder. Was auf den ersten Blick nach einer schier unüberblickbaren Ansammlung verschiedenster Artikel wird, ist hochkomplex und auf bestmögliche Nutzung der vorhandenen Lagerfläche ausgelegt. Ein Kinderbuch neben einem Tablet, daneben die Armbanduhr. Ein Handscanner hilft den Mitarbeitern, Ware und Fächer zu identifizieren. Das System versucht dabei die Wege für die Mitarbeiter möglichst kurz zu halten. Im Gegensatz zu der hohen Receiver-Halle ist es hier kompakter, dafür in mehreren Stockwerken angeordnet.
Pick
Der Pickprozess wird im Regelfall nach einer Kundenbestellung in Gang gesetzt. Hier haben Mitarbeiter kleine Regionen im Lager zugeteilt und sammeln hier in den gelben Wannen Artikel unterschiedlicher Kundenbestellungen für den Versand. Diese Wannen (Totes in Amazonsprache) werden dann bei einem sogenannten „Bahnhof“ abgegeben. Hier arbeiten die Mitarbeiter mit einem Handwagen. Das System versucht dabei die Wege so zu optimieren das Kehrtwendungen unnötig bleiben. Vom Bahnhof weg werden die Totes zur nächsten Abteilung auf Förderbändern transportiert.
Bestellungen an der „Rebin Wand“ zusammenführen
Hier scannt ein Mitarbeiter und legt die Artikel in einzelne Fächer der Wand. Jedes Fach steht hier bereits für ein Paket an einen Kunden. Nachdem der Prozess fertig ausgeführt ist wird die gut gefüllte fahrbare Wand zu den Packern manuell weitertransportiert.
Pack
Der Verpacker erhält die Rebin Wand und füllt die einzelnen Fächer dabei in eine der bekannten Versandkartonagen. Die entsprechende Umverpackung wird dabei bereits vom System vorgeschlagen, auch wird das Klebeband schon so geschnitten das es sich ideal für die Verpackungsgröße eignet. Auf diesem Platz werden auch noch evtl. Werbeflyer hinzugegeben. Der Packer übergibt das finale Paket an ein Förderband wo es zur letzten Station geht.
Check & Final
Im letzten Arbeitsschritt arbeiten keine Mitarbeiter. Hier kommen die Pakete an und werden von einem System nochmals gewogen bzw. auf Plausibilität geprüft. Stimmt etwas innerhalb einer bestimmten Toleranz nicht überein, wird das Paket nicht in den finalen Versand übergeleitet sondern nochmals überprüft. Ansonsten wird hier vollautomatisch das Versandetikett angebracht und via Förderband in eine der 20 Abfahrstationen übergeben.
In Graben gehen allerdings die meisten Pakete via Förderband direkt an DHL, der neben Amazon eine Paketverteilstation errichtet hat. Hier endet die Verantwortlichkeit des Lagers.
Delays
Sollte sich im Versandprozess herausstellen, dass die nötige LKW-Abfahrt im Standardprozess nicht mehr erreicht werden kann, so wird z. T. manuell eingegriffen. Hier „ziehen“ dann manuelle Picker und komissionieren den Auftrag quasi manuell, vorbei an den normalen Prozessschritten. Reicht das immer noch nicht, übernimmt auch Amazon das eine oder andere Mal eine teurere Versandart. Der Kunde merkt im Regelfall von all diesen Dingen nichts. Nur dass sein Paket wieder einmal pünktlich ankam. Ist die Auslastung des Lagers an einem Tag über der Planung, dann helfen die Mitarbeiter aus Verwaltung und Management im Versandprozess mit.
Versandarten
An Montagen ist das Versandaufkommen, wegen den Wochenendbestellungen, zumeist besonders hoch. Hier wird besonders auf die Einhaltung der Lieferversprechen geachtet und so ist die zusätzliche Beschleunigung eines „Standardpakets“ eher gering.
Zusammenführung von Waren aus anderen Lagern
Amazon möchte, um unnötigen Kundenfrust zu vermeiden, möglichst wenige Einzellieferungen an die Verbraucher. Deshalb werden im Hintergrund oft auch Waren an andere Läger verteilt. Diese führen die Multibestellungen dann zusammen und liefern in so wenigen Paketen wie möglich aus. Dies ist aber aufgrund des Zeitdrucks und der Komplexität wohl nicht immer möglich.
Mitarbeiter und Arbeitsklima
Allem Anschein geht es wesentlich ruhiger zur Sache als man das aus verschiedenen Medienberichten kennt. Kein Mitarbeiter scheint gehetzt. Alles scheint seine Ordnung zu haben. In der Kantine gibt es kostenlos Getränke und Kaffee. Überall im Gebäude sind Wasserspender verteilt. Die Geräuschkulisse ist erstaunlich niedrig. Zudem gibt es die Möglichkeit, sich vom Lagermitarbeiter bis ins Management hoch zu arbeiten. „Wir von Amazon haben auch nichts von gehetzten Mitarbeitern, wir wollen möglichst keine Fehler und die passieren sofort unter Stress“, argumentiert der Manager.
FBA – Fulfillment by Amazon
So nennt sich jene Dienstleistung, wo Amazon-Händler ihre Ware direkt bei Amazon einlagern. Dies macht ca. 30 % der genutzten Gesamtfläche aus. Hier lagert und verschickt Amazon für Dritte. Nicht zuletzt wahrscheinlich auch um den Amazon-Kunden eine möglichst akkurate Anlieferung zu ermöglichen.
Schwerpunktlager
Quasi jedes Lager erfüllt seine eigenen Schwerpunkte in punkto Sortiment oder Besonderheiten. So ist Graben beispielsweise eines der drei deutschen Gefahrstofflager. Hier reicht oft schon eine Lithiumbatterie für die entsprechende Klassifizierung aus.
Andere Lager spezialisieren sich auf Lebensmittel, Händlerware oder Rücksendungen.
Returns
Die Retouren in den sogenannten Rücksendezentren bearbeitet. Was passiert eigentlich mit den zahlreichen Rücksendungen? Diese werden oft wiederaufbereitet und zum Beispiel bei den Amazon Warehousedeals wieder verkauft. Hier werden Smartphones und Festplatten gelöscht und geprüft, Ersatzverpackungen werden vorgehalten oder Zubehör wieder hinzugefügt. Danach wird festgelegt in welchem „Zustand“ der Artikel wieder angeboten wird: Gebraucht, sehr gut oder gut mit kleinen Kratzern an der Rückseite etc. Gibt es etwas was nicht wieder verwendet wird? Unser Amazon-Manager lacht und sagt: „Unterwäsche ist jedenfalls ein Produkt das nicht mehr instandgesetzt wird.“
Flexibilität
Man möge glauben die Läger seien Kopien und Reproduktionen von anderen Lägern. Falsch gedacht. Es wird angepasst und individualisiert. Quasi jedes Lager kann sich flexibel an die verschiedensten Anforderungen anpassen. Genutzt wird hier aber keine Standardsoftware: Amazon schreibt die Software selbst und kann diese an regionale Gegebenheiten bzw. Gesetze regional adaptieren.
Transport
Es werden die verschiedensten Transporteure für den Versand der Ware herangezogen. Warum aber so häufig DHL obwohl man ja weiß das man dort vielleicht auch nicht der Günstigste ist? Unser Ansprechpartner war um keine Antwort verlegen: „DHL hat in verschiedenen Messungen die niedrigste Fehlerrate, direkt hinter der Swiss Post. Das ist uns jedenfalls noch wichtiger wie der Preis.“ Es gibt aber auch Bestrebungen, in Innenstädten eigene Lieferservices, z. B. mit Mopeds, aufzubauen, um Lieferungen noch schneller beim Kunden abgeben zu können. Dies wird aber wohl ein Thema für die großen Ballungsräume werden.
Fazit
Trotz hoher Automatisierung und Unterstützung durch IT-Systeme waren wir überrascht, wie viele Vorgänge wirklich manuell vollzogen werden. Was für viele Betriebe zwar wichtig ist, scheint hier das um und auf: Das Kundenversprechen. Ohne dem geht auf dem Planet Amazon wohl gar nichts. Hinter dem Button „jetzt kaufen“ verbergen sich also ganze Logistikstädte die dafür sorgen, dass wir unsere Ware in entsprechender Qualität zum versprochenen Zeitpunkt erhalten.
Waren wir gerade beim faszinierendsten Versandhändler der Welt zu Gast?
Bild: Flickr – Scott Lewis – CC by 2.0
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Danke für diesen interessanten Einblick in den Ablauf! Wahnsinn, wie das alles funktioniert – vom Wareneingang über die Fördertechnik bis zum Versand absolut durchdacht. Sehr spannend!
Sehr interessant!